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BGH bestätigt: Keine Vergleichsangebote bei Anwaltsbeauftragung erforderlich

BGH-Urteil
Rechtsprechung
WEG
Fachwissen
23.12.2025
5 Minuten
Inhaltsübersicht

Die Frage, wann Wohnungseigentümergemeinschaften (GdWE) vor der Beauftragung von Dienstleistern Vergleichsangebote einholen müssen, beschäftigt Verwalter und Eigentümer gleichermaßen. Mit seinem Urteil vom 18. Juli 2025 (Az. V ZR 76/24) hat der Bundesgerichtshof nun eine wichtige Klarstellung getroffen: Bei der Beauftragung von Rechtsanwälten und Gutachtern sind Alternativangebote nicht erforderlich. Diese Entscheidung schafft Rechtssicherheit und erleichtert die Verwaltungspraxis erheblich – insbesondere im Kontext der durch das WEMoG 2020 reformierten Regelungen zur ordnungsgemäßen Verwaltung.

Der Fall: Baumängel und drohende Verjährung

Der Entscheidung lag ein praxisrelevanter Sachverhalt zugrunde: In einer Wohnungseigentumsanlage traten erhebliche Baumängel am Gemeinschaftseigentum auf. Angesichts der drohenden Verjährung von Mängelansprüchen handelte die Verwalterin umgehend und beauftragte im Namen der Gemeinschaft drei Sachverständige mit der Begutachtung. Die Gutachter bezifferten den Aufwand für die Mangelbeseitigung auf 470.000 € und stellten für ihre Leistung 50.000 € in Rechnung. Zusätzlich wurde eine Anwaltskanzlei mit der Durchsetzung der Ansprüche betraut.

Einen vorherigen Beschluss der Wohnungseigentümer gab es für diese Beauftragungen zunächst nicht. In einer späteren Eigentümerversammlung im Juli 2021 beschlossen die Eigentümer jedoch, die Einschaltung und Vergütung der Gutachter sowie die bisherigen Kosten der Anwaltskanzlei zu genehmigen. Darüber hinaus ermächtigten sie die Verwalterin, mit der Kanzlei eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen, deren Stundensätze 300 € netto je Anwaltsstunde und € Euro netto je Sekretariatsstunde nicht überschreiten dürfen.

Die Bauträgerin, die noch Mitglied der GdWE war, focht diese Beschlüsse an. Während das Amtsgericht die Klage abwies, gab das Landgericht der Klägerin Recht und erklärte die Beschlüsse für unwirksam. Die Begründung: Vor der Beauftragung hätten jeweils drei Alternativangebote eingeholt werden müssen.

Die BGH-Entscheidung: Keine Alternativangebote bei Rechtsanwälten und Gutachtern

Der Bundesgerichtshof folgte der Auffassung des Amtsgerichts und hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Die Karlsruher Richter stellten klar: Die angefochtenen Beschlüsse entsprechen ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne des § 20 WEG. Insbesondere war es nicht erforderlich, vor der Beauftragung der Anwaltskanzlei mehrere Angebote einzuholen.

Rechtliche Grundlagen nach WEMoG 2020

Mit dem am 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) wurde das Wohnungseigentumsrecht grundlegend reformiert. Der zentrale Maßstab für Verwaltungshandeln ist seitdem die "ordnungsgemäße Verwaltung" gemäß § 20 WEG. Diese umfasst alle Maßnahmen, die nach pflichtgemäßem Ermessen der Erhaltung und nachhaltigen Bewirtschaftung des gemeinschaftlichen Eigentums dienen.

Das WEMoG hat die Entscheidungsstrukturen in Wohnungseigentümergemeinschaften neu geordnet und die Beschlussfassung in § 18 WEG detailliert geregelt. Gleichzeitig wurden die Befugnisse des Verwalters in § 19 WEG präzisiert. Die Frage, ob und wann Vergleichsangebote erforderlich sind, ist jedoch weder im WEMoG noch in den vorherigen Fassungen des WEG ausdrücklich geregelt – sie ergibt sich vielmehr aus dem unbestimmten Rechtsbegriff der "ordnungsgemäßen Verwaltung".

Keine pauschale Pflicht zur Einholung von Vergleichsangeboten

Der BGH ließ ausdrücklich offen, ob generell vor jeder Auftragsvergabe mehrere Alternativangebote eingeholt werden müssen. Diese Frage, die von Instanzgerichten überwiegend bejaht wurde, bedurfte im konkreten Fall keiner Klärung. Denn jedenfalls bei der Beauftragung von Rechtsanwälten müssen keine Alternativangebote vorliegen – auch dann nicht, wenn der Abschluss einer Honorarvereinbarung beabsichtigt ist.

Die Begründung des BGH ist nachvollziehbar und praxisorientiert:

1. Kein sinnvoller Preisvergleich möglich

Alternativangebote sollen den Wohnungseigentümern die Stärken und Schwächen verschiedener Leistungsangebote aufzeigen. Wenn sie dieses Ziel nicht erreichen können, widerspricht es nicht der ordnungsgemäßen Verwaltung, auf ihre Einholung zu verzichten.

Bei Anwälten ermöglichen Angebote mehrerer Kanzleien keinen sinnvollen Preisvergleich. Bei Abrechnung nach gesetzlichen Gebühren (RVG) entstehen ohnehin keine Preisunterschiede zwischen verschiedenen Anwälten. Auch bei stundenbasierter Abrechnung hängt die Gesamthöhe des Honorars weniger vom Stundensatz als vielmehr vom tatsächlichen Zeitaufwand ab – etwa der Dauer eines Gerichtsverfahrens oder der Komplexität der Verhandlungen.

2. Dienstleistung statt konkrete Erfolgsschuld

Im Gegensatz zu einem Handwerker schuldet ein Rechtsanwalt keinen konkreten Erfolg, sondern erbringt eine Dienstleistung. Entscheidend ist die fachliche Kompetenz, die sich nicht anhand schriftlicher Angebote bewerten lässt. Die Qualifikation eines Anwalts, seine Erfahrung in der speziellen Materie des Wohnungseigentumsrechts oder seine Prozessstrategie können nicht durch einen Angebotsvergleich auf dem Papier erfasst werden.

3. Bedeutung der Vertrauensbeziehung

Neben der fachlichen Qualifikation kommt der persönlichen Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und Rechtsanwalt besondere Bedeutung zu. Diese kann durch einen Angebotsvergleich nicht abgebildet werden. Gerade bei komplexen Rechtsfragen im Bereich des Wohnungseigentumsrechts ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit oft erfolgsentscheidend.

Gleiche Grundsätze für Gutachter

Die vom BGH für Rechtsanwälte entwickelten Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Beauftragung von Gutachtern. Auch hier sind Alternativangebote nicht erforderlich, da diese keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich Qualität oder Wirtschaftlichkeit liefern würden. Die fachliche Expertise eines Sachverständigen, seine Erfahrung mit vergleichbaren Schadensfällen und seine Reputation lassen sich ebenfalls nicht durch einen Angebotsvergleich bewerten.

Stundenhonorar darf vereinbart werden

Ein weiterer wichtiger Aspekt der BGH-Entscheidung betrifft die Höhe der Vergütung. Die Ermächtigung, mit der Anwaltskanzlei ein Stundenhonorar von 300 Euro netto je Anwaltsstunde und 150 € netto je Sekretariatsstunde zu vereinbaren, entspricht nach Auffassung des BGH ordnungsgemäßer Verwaltung.

Zwar müssen die Wohnungseigentümer das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und ihre Leistungsfähigkeit im Blick behalten. Dabei dürfen sie aber Kosten und Nutzen einer Maßnahme abwägen. Die Eigentümer müssen den Verwalter nicht auf ein "günstiges" Anwaltshonorar beschränken, wenn sie sich von einer Kanzlei ein der höheren Vergütung entsprechendes besonderes Engagement und eine besonders kompetente Leistung versprechen.

Dies gilt auch dann, wenn absehbar ist, dass die Rechtsanwaltskosten im Fall des Obsiegens nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren vom Gegner erstattet werden und etwaige Mehrkosten von der GdWE getragen werden müssen. Das vom BGH gebilligte Stundenhonorar bewegte sich noch im Rahmen des den Eigentümern zustehenden Ermessens – insbesondere angesichts der streitigen Ansprüche in einer Größenordnung von einer halben Million Euro im Rahmen einer speziellen rechtlichen Materie.

Nachträgliche Genehmigung ordnungsgemäßer Maßnahmen

Ein dritter wesentlicher Punkt der Entscheidung betrifft die nachträgliche Genehmigung. Der BGH stellte klar: Die Genehmigung einer vom Verwalter ohne Beschluss veranlassten Maßnahme ist jedenfalls dann rechtmäßig, wenn die Maßnahme selbst ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.

Diese Klarstellung ist für die Verwaltungspraxis von erheblicher Bedeutung. In Eilfällen – wie bei drohender Verjährung von Mängelansprüchen – kann und muss der Verwalter im Rahmen seiner Eilgeschäftsführung nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG handeln. Die nachträgliche Genehmigung durch die Eigentümerversammlung heilt formelle Mängel, sofern die Maßnahme inhaltlich ordnungsgemäß war.

Praktische Relevanz für die Verwaltungspraxis

Die BGH-Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die tägliche Verwaltungspraxis:

1. Entlastung bei rechtlicher Beratung

Verwalter und Eigentümergemeinschaften müssen nicht mehr den zeitaufwändigen und wenig zielführenden Prozess durchlaufen, mehrere Anwaltskanzleien um schriftliche Angebote zu bitten. Dies beschleunigt die Mandatierung erheblich – gerade in Eilfällen wie bei drohender Verjährung oder akuten Rechtsproblemen ein entscheidender Vorteil.

2. Freie Anwaltswahl nach Vertrauensprinzip

Die Entscheidung bestätigt, dass die Wahl des Rechtsanwalts primär nach Kriterien wie fachlicher Expertise, Erfahrung und Vertrauen erfolgen darf. WEG-Verwalter können auf bewährte Kanzleien zurückgreifen, mit denen bereits positive Erfahrungen gemacht wurden, ohne dies durch Vergleichsangebote rechtfertigen zu müssen.

3. Rechtssicherheit bei Gutachterbeauftragung

Auch bei der Beauftragung von Sachverständigen – etwa für Baugutachten, Wertermittlungen oder technische Prüfungen – besteht keine Pflicht zur Einholung von Alternativangeboten. Dies gilt insbesondere dann, wenn spezielles Fachwissen erforderlich ist und die Qualität der Begutachtung im Vordergrund steht.

4. Ermessensspielraum bei der Vergütung

Die Eigentümergemeinschaft hat einen gewissen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Vergütungshöhe. Höhere Stundensätze können vereinbart werden, wenn sich die Eigentümer davon eine entsprechend höhere Qualität der Leistung versprechen. Dies gilt besonders bei komplexen rechtlichen Materien oder hohen Streitwerten.

Handlungsempfehlungen für WEG-Verwalter

Aus der BGH-Entscheidung lassen sich konkrete Empfehlungen für die Verwaltungspraxis ableiten:

1. Dokumentation der Auswahlkriterien

Auch wenn keine Vergleichsangebote erforderlich sind, sollten Verwalter die Gründe für die Auswahl eines bestimmten Rechtsanwalts oder Gutachters dokumentieren. Dies kann in der Beschlussvorlage erfolgen und umfasst etwa:

  • Spezialisierung und Erfahrung in WEG-Angelegenheiten
  • Erfolgreiche Zusammenarbeit in der Vergangenheit
  • Empfehlungen von Fachverbänden
  • Besondere Expertise im konkreten Problembereich

2. Transparente Darstellung der Vergütung

Die geplante Vergütungsvereinbarung sollte der Eigentümerversammlung transparent vorgelegt werden. Dabei ist zu erläutern:

  • Höhe der Stundensätze für Anwälte und Mitarbeiter
  • Voraussichtlicher Zeitaufwand (soweit absehbar)
  • Vergleich mit gesetzlichen Gebühren
  • Besondere Erwartungen an Qualität und Engagement

3. Beschlussfassung oder Eilgeschäftsführung

Im Regelfall sollte die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Gutachters durch Eigentümerbeschluss erfolgen. Bei Eilfällen – etwa drohender Verjährung – ist der Verwalter nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG zur Eilgeschäftsführung berechtigt. Die nachträgliche Genehmigung durch die Eigentümerversammlung ist dann zwingend einzuholen.

Abgrenzung zu anderen Dienstleistungen

Wichtig ist die Unterscheidung zu anderen Dienstleistungen, bei denen die Frage nach Vergleichsangeboten anders zu beurteilen sein kann:

Werkverträge mit Handwerkern

Bei der Beauftragung von Handwerkern oder Baufirmen für konkrete Leistungen am Gemeinschaftseigentum gelten andere Maßstäbe. Hier sind grundsätzlich Vergleichsangebote sinnvoll und oft erforderlich, da:

  • Konkrete Leistungen geschuldet werden (Werkvertrag)
  • Preisunterschiede erheblich sein können
  • Die Leistungsqualität besser vergleichbar ist
  • Die Wirtschaftlichkeit objektivierbar ist

Dienstleistungsverträge mit Messbarkeit

Auch bei anderen Dienstleistungen, bei denen Qualität und Preis besser vergleichbar sind – etwa Reinigungsdienste, Gartenpflege oder Hausmeisterdienste – können Vergleichsangebote zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehören.

Wiederbestellung des Verwalters

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der BGH bereits in einer früheren Entscheidung klargestellt hat, dass auch bei der Wiederbestellung des Verwalters keine Vergleichsangebote eingeholt werden müssen. Auch hier steht die Vertrauensbeziehung und die bisherige Zusammenarbeit im Vordergrund.

Fazit

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 18. Juli 2025 wichtige Klarstellungen zur ordnungsgemäßen Verwaltung im Sinne des § 20 WEG getroffen. Die Kernaussagen:

  • Bei der Beauftragung von Rechtsanwälten sind keine Vergleichsangebote erforderlich
  • Gleiches gilt für die Beauftragung von Gutachtern
  • Die Eigentümergemeinschaft hat einen Ermessensspielraum bei der Vergütungshöhe
  • Auch höhere Stundensätze als die gesetzlichen Gebühren können vereinbart werden
  • Die nachträgliche Genehmigung einer ordnungsgemäßen Maßnahme ist rechtmäßig

Für die Verwaltungspraxis bedeutet dies eine erhebliche Entlastung und mehr Flexibilität bei der Mandatierung von Rechtsanwälten und Sachverständigen. Die Entscheidung berücksichtigt die besonderen Anforderungen professioneller Dienstleistungen und stärkt das Vertrauensprinzip bei der Auswahl qualifizierter Fachleute.

WEG-Verwalter sollten diese Grundsätze kennen und in ihrer täglichen Arbeit nutzen. Gleichzeitig empfiehlt sich eine sorgfältige Dokumentation der Auswahlgründe und eine transparente Darstellung gegenüber den Eigentümern. Moderne digitale Verwaltungslösungen können dabei helfen, diese Prozesse effizient und rechtssicher zu gestalten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.07.2025 - V ZR 76/24

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Ein Artikel von
Shari Heep
Geschäftsführende Gründerin & CEO

Shari Heep ist Juristin mit Fokus auf IT- Recht und Gründerin & CEO von SCALARA. Sie hat schon seit ihrem Abitur in der familiären Hausverwaltung mitgearbeitet und dort vor allem die digitale Transformation vorangetrieben. Durch ihre praktische Erfahrung aus der Immobilien- und Verwaltungsbranche kennt sie die Herausforderungen der Branche sehr genau.
Mit der Gründung von SCALARA hat Shari ihre Leidenschaft für alles Digitale mit ihren Verwalterwurzeln verbunden.

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