
BGH-Urteil vom November 2025 schafft Klarheit für die WEG-Verwaltungspraxis
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 14. November 2025 (Az. V ZR 190/24) eine zentrale Frage für die WEG-Verwaltungspraxis geklärt: Wohnungseigentümer können ihre laufenden Hausgeldzahlungen nicht mit der Begründung zurückbehalten, dass ausstehende Jahresabrechnungen noch nicht erstellt wurden – selbst dann nicht, wenn sie einen rechtskräftigen Titel auf Erstellung dieser Abrechnungen erstritten haben. Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis der Immobilienverwaltung und stärkt die finanzielle Handlungsfähigkeit von Wohnungseigentümergemeinschaften nachhaltig.
Im entschiedenen Fall verlangte eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer von einem Miteigentümer die Zahlung rückständiger Hausgeldvorschüsse für die Monate Juni bis September 2022 in Höhe von rund 18.500 €. Die Grundlage bildeten die im Januar 2021 beschlossenen Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne, die mangels erneuter Beschlussfassung fortgalten.
Die Besonderheit des Falls: Seit dem Jahr 2012 hatte die Gemeinschaft keine Jahresabrechnungen mehr erstellt. Der betroffene Eigentümer hatte sogar erfolgreich auf Erstellung der Jahresabrechnung 2019 geklagt und einen rechtskräftigen Titel erstritten – dennoch stand auch diese Abrechnung weiterhin aus. Der Eigentümer vertrat die Auffassung, ihm stehe wegen der fehlenden Jahresabrechnungen ein Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Hausgeldvorschüssen nach § 273 Abs. 1 BGB zu.
Der Bundesgerichtshof räumte zunächst ein, dass ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB einen fälligen Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger voraussetzt. Solche Ansprüche stehen dem Eigentümer grundsätzlich zu: Er kann von der Gemeinschaft die Erstellung der fehlenden Jahresabrechnungen verlangen, da dies zur ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 28 Abs. 1 WEG gehört.
Dennoch – und das ist der entscheidende Punkt – kann der Eigentümer die Zahlung der Hausgelder nicht verweigern. Das Zurückbehaltungsrecht ist im Hinblick auf Hausgeld-Vorauszahlungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG generell ausgeschlossen. Diese Auslegung ergibt sich aus der Natur der Schuld und dem spezifischen Finanzierungssystem der Wohnungseigentümergemeinschaft.
Die im Wirtschaftsplan ausgewiesenen Vorschüsse bilden das zentrale Finanzierungsinstrument jeder Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie sollen zur Verwaltung des Gemeinschaftseigentums tatsächlich zur Verfügung stehen und gewährleisten, dass die für die Bewirtschaftung notwendigen Mittel jederzeit bereitstehen. Diese Systematik würde durch ein Zurückbehaltungsrecht fundamental gefährdet.
Der BGH führt aus: Ein Zurückbehaltungsrecht könnte alle Wohnungseigentümer dazu verleiten, ihre Vorauszahlungen wegen ausstehender Jahresabrechnungen nicht zu zahlen. In der Folge wäre der Gemeinschaft die finanzielle Grundlage entzogen und sie in ihrer Handlungsfähigkeit stark beschränkt. Die praktischen Konsequenzen wären gravierend:
Besonders bemerkenswert: Der BGH lehnt eine Prüfung im Einzelfall ab, ob durch das Zurückbehalten der Vorschüsse die ordnungsmäßige Verwaltung tatsächlich beeinträchtigt würde. Diese klare Linie folgt aus Praktikabilitätserwägungen. Der Wirtschaftsplan wird auf prognostischer Basis erstellt, wobei die Wohnungseigentümer den voraussichtlichen Liquiditätsbedarf prognostizieren und dabei über ein weites Ermessen verfügen. Dieses mehrheitlich ausgeübte Ermessen darf nicht durch die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts einzelner Eigentümer unterlaufen werden.
Eine weitere zentrale Klarstellung des BGH: Das Zurückbehaltungsrecht ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Forderung gegen die Gemeinschaft anerkannt oder rechtskräftig zuerkannt ist. Diese Differenzierung ist bedeutsam, denn bei der Aufrechnung, die als Erfüllungssurrogat das Finanzierungssystem nicht beeinträchtigt, verhält es sich anders.
Das Zurückbehaltungsrecht dient dagegen lediglich als Druckmittel. Es könnte der Durchsetzung der Vorschussansprüche auf unbestimmte Zeit entgegenstehen und damit die Liquiditätsgrundlage der Gemeinschaft gefährden. Einem Wohnungseigentümer, der wie im vorliegenden Fall ein rechtskräftiges Urteil auf Erstellung der Jahresabrechnung erstritten hat, steht es frei, daraus zu vollstrecken und seinen Anspruch auf diese Weise durchzusetzen.
Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG), das am 1. Dezember 2020 in Kraft getreten ist, hat das Wohnungseigentumsrecht grundlegend reformiert. Die vorliegende BGH-Entscheidung bestätigt, dass die Grundprinzipien der Hausgeldzahlung auch nach der Reform unverändert fortbestehen.
§ 28 Abs. 1 WEG regelt weiterhin die Vorschusspflicht: Die Wohnungseigentümer sind verpflichtet, Vorschüsse auf die Kosten zu zahlen, die durch die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums erwachsen. Diese Pflicht ist unabhängig von etwaigen Gegenforderungen zu erfüllen – ein fundamentales Prinzip für die Funktionsfähigkeit jeder Wohnungseigentümergemeinschaft.
Die BGH-Entscheidung unterstreicht damit die Bedeutung einer ordnungsgemäßen Jahresabrechnung nach § 28 Abs. 3 WEG, hebt aber zugleich hervor, dass Versäumnisse in diesem Bereich nicht zur Verweigerung der laufenden Hausgeldzahlungen berechtigen. Die Systematik des Gesetzes zielt auf die Sicherstellung der finanziellen Stabilität der Gemeinschaft ab – ein Aspekt, der durch das WEMoG 2020 noch stärker betont wurde.
Die BGH-Entscheidung vom 14. November 2025 schafft klare Verhältnisse: Wohnungseigentümer können ihr Hausgeld nicht zurückbehalten, selbst wenn jahrelang keine Jahresabrechnungen erstellt wurden und sie hierauf einen rechtskräftigen Titel besitzen. Diese Rechtsprechung stärkt die finanzielle Stabilität von Wohnungseigentümergemeinschaften erheblich.
Die Kernaussagen im Überblick:
Für die Verwaltungspraxis bedeutet dies: Verwalter können säumige Eigentümer konsequent zur Zahlung auffordern, ohne befürchten zu müssen, dass Verzögerungen bei Jahresabrechnungen ein wirksames Zurückbehaltungsrecht begründen. Gleichzeitig bleibt die Pflicht zur fristgerechten Abrechnung bestehen – nicht nur als rechtliche Verpflichtung, sondern auch als Gebot der Transparenz und des Vertrauensschutzes.
Die digitale Transformation der Immobilienverwaltung bietet hier große Chancen: Moderne Software-Lösungen können Abrechnungsprozesse automatisieren, Fristen überwachen und damit sowohl die Rechtssicherheit als auch die Effizienz in der täglichen Verwaltungsarbeit erheblich verbessern.
BGH, Urteil vom 14.11.2025, Az. V ZR 190/24

Shari Heep ist Juristin mit Fokus auf IT- Recht und Gründerin & CEO von SCALARA. Sie hat schon seit ihrem Abitur in der familiären Hausverwaltung mitgearbeitet und dort vor allem die digitale Transformation vorangetrieben. Durch ihre praktische Erfahrung aus der Immobilien- und Verwaltungsbranche kennt sie die Herausforderungen der Branche sehr genau.
Mit der Gründung von SCALARA hat Shari ihre Leidenschaft für alles Digitale mit ihren Verwalterwurzeln verbunden.