Übergabeprotokoll: Nur aufgeführte Mängel und Pflichten sind für Mieter verbindlich

BGH-Urteil
Praktische Tipps
Organisation
26.11.2025
5 Minuten
Inhaltsübersicht

Übergabeprotokolle werden in der Vermietungspraxis häufig unterschätzt – dabei sind sie das zentrale Beweismittel bei Streitigkeiten über den Wohnungszustand. Das Landgericht Essen hat im Dezember 2024 klargestellt: Was nicht im Protokoll steht, ist später nicht mehr durchsetzbar. Für WEG-Verwalter, die vermietende Eigentümer betreuen, ist dieses Urteil von erheblicher praktischer Bedeutung.

 

Die Ausgangslage: Bedeutung des Übergabeprotokolls

Bei jedem Mieterwechsel – sei es bei Beginn oder bei Ende eines Mietverhältnisses – sollte der Zustand der Wohnung dokumentiert werden. Das Übergabeprotokoll dient dabei als Beweismittel für:

  • Den Zustand der Wohnung bei Übergabe
  • Vorhandene Mängel und Schäden
  • Vereinbarte Pflichten des Mieters (z.B. Renovierungen, Rückbau)
  • Zustand von Einrichtungen, Schlüsseln, Zählern

Dennoch wird in der Praxis häufig nachlässig mit der Protokollierung umgegangen – mit weitreichenden Konsequenzen, wie das aktuelle Urteil des Landgerichts Essen zeigt.

 

Der entschiedene Fall: Streit um Schönheitsreparaturen

Sachverhalt

Ein Vermieter übergab eine unrenovierte Wohnung an seinen Mieter. Im Mietvertrag war eine Renovierungsklausel enthalten, nach der der Mieter bei Auszug Schönheitsreparaturen durchführen sollte. Als das Mietverhältnis endete, gab der Mieter die Wohnung ebenfalls unrenoviert zurück.

Die Positionen:

  • Vermieter: Forderte Schadensersatz für unterlassene Renovierung gemäß Mietvertrag
  • Mieter: Berief sich darauf, dass die Wohnung bereits unrenoviert übergeben wurde und das Übergabeprotokoll keine Mängel oder Pflichten zu seinen Lasten aufführte

Entscheidung des Landgericht Essen

Das Landgericht Essen (Urteil vom 12.12.2024, Az. 10 S 147/23) entschied zugunsten des Mieters und stellte klar:

Nur im Übergabeprotokoll dokumentierte Mängel und Pflichten sind verbindlich. Weitere Ansprüche aus nicht aufgeführten Mängeln und Beanstandungen sind ausgeschlossen.

Kernaussagen des Urteils:

  1. Das Übergabeprotokoll hat abschließenden Charakter
  2. Spätere Nachforderungen sind nicht möglich, wenn sie nicht im Protokoll dokumentiert wurden
  3. Die Parteien können im Protokoll verbindlich vereinbaren: Schönheitsreparaturen, Schadensbeseitigung, Räumung, Rückbau, Entschädigungszahlungen
  4. Was nicht im Protokoll steht, kann später nicht mehr geltend gemacht werden

Im konkreten Fall hatte der Vermieter keine Mängel oder Pflichten im Übergabeprotokoll festgehalten – damit waren spätere Forderungen ausgeschlossen, unabhängig davon, was im Mietvertrag stand.

 

Rechtliche Einordnung: Beweislast und Protokollwirkung

Beweisfunktion des Übergabeprotokolls

Das Übergabeprotokoll hat eine doppelte Funktion:

  1. Beweisfunktion
  • Dokumentiert den tatsächlichen Zustand der Wohnung
  • Beweislast liegt beim Vermieter für Schäden, die über den normalen Zustand hinausgehen
  • Fehlt ein Protokoll oder sind Mängel nicht dokumentiert, ist die Beweisführung erheblich erschwert
  1. Vereinbarungsfunktion
  • Parteien können im Protokoll verbindliche Vereinbarungen treffen
  • z.B. Mieter verpflichtet sich zu bestimmten Renovierungen bis zu einem Datum
  • oder: Mieter zahlt pauschalen Betrag statt Renovierung

Abschließender Charakter

Das Landgericht Essen betont: Haben die Parteien den Zustand der Mieträume bei der Übergabe insgesamt festgestellt (soweit Mängel erkennbar waren) und nur bestimmte Pflichten des Mieters festgelegt, ist auch nur dies maßgeblich und verbindlich.

Das bedeutet konkret:

  • Ein leeres oder unvollständiges Protokoll schadet dem Vermieter
  • Nachträgliche Ergänzungen sind nicht möglich
  • Mündliche Absprachen ohne Protokollierung sind nicht durchsetzbar
  • Der Mietvertrag allein reicht nicht, wenn das Protokoll anderes aussagt

Relevanz für die WEG-Verwaltung

Betreuung vermietender Eigentümer

Als WEG-Verwalter betreuen Sie häufig Eigentümer, die ihre Wohneinheiten vermieten. Auch wenn die Vermietung Sache des Eigentümers ist, werden Sie regelmäßig um Rat gefragt oder in Prozesse eingebunden. Das Landgericht Essen-Urteil hat dabei erhebliche praktische Bedeutung.

Typische Situationen in der Praxis:

  • Eigentümer bittet um Teilnahme an Wohnungsübergabe
  • Eigentümer fragt nach Mustern für Übergabeprotokolle
  • Streit zwischen Eigentümer und Mieter über Wohnungszustand
  • Fragen zur Abgrenzung Gemeinschafts-/Sondereigentum bei Schäden

Schnittstelle Gemeinschafts- und Sondereigentum

Bei der Wohnungsübergabe müssen Sie als Verwalter besonders auf die Abgrenzung zwischen Gemeinschafts- und Sondereigentum achten:

Gemeinschaftseigentum:

  • Außenwände, tragende Wände, Dach
  • Treppenhaus, Aufzug, Eingangstür
  • Heizungsanlage (zentral)
  • Versorgungsleitungen (bis zur Wohnungsgrenze)

Sondereigentum:

  • Innenwände (nicht tragend), Bodenbeläge, Türen innerhalb der Wohnung
  • Sanitärobjekte, Armaturen
  • Fenster (bei entsprechender Teilungserklärung)
  • Elektroinstallation innerhalb der Wohnung

Praxisproblem: Schäden an Gemeinschaftseigentum (z. B. defektes Fenster, beschädigte Eingangstür) dürfen nicht zu Lasten des Mieters im Übergabeprotokoll dokumentiert werden – hier ist die WEG zuständig.

Dokumentationspflichten des Verwalters

Auch für die WEG-Verwaltung selbst sind Übergabeprotokolle relevant:

Bei Eigentümerwechsel:

  • Zustand gemeinschaftlich genutzter Bereiche (Keller, Dachboden)
  • Zustand von Sondereigentumseinheiten bei Übergabe
  • Zählerstände, Schlüssel

Bei Modernisierungen/Sanierungen:

  • Zustand vor und nach Maßnahmen
  • Beweissicherung bei Schäden
  • Dokumentation für spätere Nachweise

 

Praktische Hinweise zur Erstellung eines Übergabeprotokolls

Formale Anforderungen

Ein rechtssicheres Übergabeprotokoll sollte folgende Elemente enthalten:

Kopfdaten:

  • Datum und Uhrzeit der Übergabe
  • Vollständige Namen und Anschriften aller Beteiligten
  • Adresse der Wohnung
  • Art der Übergabe (Einzug/Auszug)

Zustandsbeschreibung:

  • Raum für Raum dokumentieren
  • Böden, Wände, Decken, Fenster, Türen
  • Sanitär, Elektrik, Heizung
  • Einbauten (Küche, Einbauschränke)

Zählerstände:

  • Strom, Wasser, Gas, Heizung
  • Ablesedatum und -uhrzeit

Schlüssel:

  • Anzahl und Art der übergebenen Schlüssel
  • Haustür, Wohnungstür, Briefkasten, Keller etc.

Mängel und Vereinbarungen:

  • Konkrete Beschreibung vorhandener Mängel
  • Vereinbarte Maßnahmen (Renovierung, Reparatur, Rückbau)
  • Fristen für Erfüllung
  • Ggf. Ersatzzahlungen

Unterschriften:

  • Beide Parteien müssen unterzeichnen
  • Jede Partei erhält ein Original

Checkliste für WEG-Verwalter

Wenn Sie vermietende Eigentümer bei Wohnungsübergaben beraten oder unterstützen, achten Sie auf folgende Punkte:

Vor der Übergabe:

  • Termin rechtzeitig vereinbaren (Tageslicht!)
  • Protokollvordruck vorbereiten
  • Zählerstände vorbereiten
  • Schlüssel bereithalten
  • Kamera/Smartphone für Fotos mitnehmen

Während der Übergabe:

  • Jeden Raum systematisch durchgehen
  • Alle erkennbaren Mängel notieren (auch kleine!)
  • Fotos von Mängeln anfertigen
  • Zählerstände gemeinsam ablesen
  • Schlüsselübergabe protokollieren
  • Bei Unklarheiten: lieber mehr als zu wenig dokumentieren

Nach der Übergabe:

  • Protokoll von beiden Parteien unterschreiben lassen
  • Kopie für jede Partei
  • Original beim Verwalter/Eigentümer archivieren
  • Fotos sicher aufbewahren (Datensicherung!)
  • Kaution gemäß gesetzlichen Vorgaben behandeln

Häufige Fehler vermeiden

Fehler 1: Protokoll nur oberflächlich ausfüllen
"Wohnung in ordnungsgemäßem Zustand" reicht nicht! Konkrete Beschreibung ist erforderlich.

Fehler 2: Mängel nicht dokumentieren
Aus falsch verstandener Höflichkeit werden Mängel nicht aufgeschrieben – fataler Fehler!

Fehler 3: Keine Fotos anfertigen
Fotos sind das beste Beweismittel und sollten immer erstellt werden.

Fehler 4: Unterschrift fehlt
Ein nicht unterschriebenes Protokoll ist wertlos.

Fehler 5: Unklare Formulierungen
"Leichte Gebrauchsspuren" oder "normale Abnutzung" sind zu ungenau. Besser: "Kratzer in Parkett, Länge ca. 20 cm, Eingangsbereich links"

Sonderfälle und Praxisprobleme

Fall 1: Mieter verweigert Unterschrift

Wenn der Mieter das Protokoll nicht unterschreiben will, sollten Sie:

  • Protokoll trotzdem vollständig ausfüllen
  • Verweigerung im Protokoll vermerken
  • Zeugen benennen (z. B. Hausmeister, Nachbar)
  • Fotos als zusätzliche Beweismittel erstellen
  • Protokoll per Einschreiben mit Rückschein zusenden

Rechtliche Folge: Auch ein einseitig erstelltes Protokoll hat Beweiskraft, ist aber schwächer als ein beidseitig unterzeichnetes.

Fall 2: Nachträgliche Mängel entdeckt

Was gilt, wenn nach der Übergabe weitere Mängel entdeckt werden (z. B. verdeckte Schäden)?

Rechtslage:

  • Bei Einzug: Mieter hat Recht auf mangelfreie Wohnung (§ 535 BGB)
  • Bei Auszug: Vermieter muss verdeckte Mängel innerhalb von 6 Monaten geltend machen

Verdeckte Mängel sind solche, die bei ordnungsgemäßer Besichtigung nicht erkennbar waren (z. B. Schimmel hinter Schrank, defekte Heizung im Sommer).

Praxistipp: Im Protokoll vermerken: "Weitere verdeckte Mängel bleiben vorbehalten und können innerhalb von 6 Monaten geltend gemacht werden."

Fall 3: Streit über Abnutzung

Häufiger Streitpunkt: Was ist normale Abnutzung, was ist Verschleiß?

Normale Abnutzung (Mieter haftet nicht):

  • Verblasste Farben nach 10 Jahren
  • Leichte Laufspuren in Teppichböden
  • Alterungserscheinungen bei Armaturen

Verschleiß durch unsachgemäße Behandlung (Mieter haftet):

  • Tiefe Kratzer in Parkett
  • Löcher in Wänden (über normale Dübellöcher hinaus)
  • Verschmutzte oder beschädigte Fliesen

Wichtig: Die Abgrenzung ist oft Streitpunkt – umso wichtiger ist eine präzise Dokumentation im Protokoll!

Tipps & Handlungsempfehlungen

Für WEG-Verwalter

  1. Musterprotokoll bereitstellen: Erstellen Sie ein standardisiertes Musterprotokoll für vermietende Eigentümer. Dieses sollte alle relevanten Punkte abdecken und rechtssicher formuliert sein.
  1. Schulung anbieten: Bieten Sie Ihren Eigentümern eine kurze Schulung oder Informationsveranstaltung zum Thema "Rechtssichere Wohnungsübergabe" an.
  1. Abgrenzung kommunizieren: Klären Sie Eigentümer über die Abgrenzung Gemeinschafts-/Sondereigentum auf, damit Schäden am Gemeinschaftseigentum nicht fälschlicherweise im Übergabeprotokoll auftauchen.
  1. Bei Bedarf unterstützen: Bieten Sie an, bei wichtigen Übergaben (z.B. nach Renovierung, bei Streitfällen) als neutraler Zeuge teilzunehmen.
  1. Dokumentation archivieren: Bewahren Sie Kopien von Übergabeprotokollen auf, falls später Fragen zur WEG-Abrechnung entstehen (z.B. Heizkosten bei Mieterwechsel).

Für vermietende Eigentümer

  1. Zeit nehmen: Planen Sie mindestens 1-2 Stunden für eine gründliche Wohnungsübergabe ein.
  1. Professionell vorgehen: Nutzen Sie standardisierte Protokolle und fertigen Sie Fotos an.
  1. Vollständig dokumentieren: Lieber zu viel als zu wenig notieren – das Landgericht Essen-Urteil zeigt die Konsequenzen.
  1. Klare Vereinbarungen: Wenn Renovierungen oder Reparaturen vereinbart werden, formulieren Sie diese konkret mit Fristen und Konsequenzen.
  1. Rechtliche Beratung: Bei komplexen Fällen oder Streitigkeiten sollten Sie einen auf Mietrecht spezialisierten Anwalt hinzuziehen.

Fazit

Das Urteil des Landgericht Essen vom 12.12.2024 unterstreicht die zentrale Bedeutung einer sorgfältigen Wohnungsübergabe mit vollständiger Protokollierung:

Kernaussagen:

  • Nur im Übergabeprotokoll dokumentierte Mängel und Pflichten sind verbindlich
  • Spätere Nachforderungen sind ausgeschlossen, wenn sie nicht im Protokoll stehen
  • Ein leeres oder unvollständiges Protokoll schadet dem Vermieter erheblich
  • Das Protokoll hat abschließenden Charakter – mündliche Absprachen reichen nicht

Für die WEG-Verwaltungspraxis bedeutet dies:

  • Vermietende Eigentümer sollten dringend zur sorgfältigen Protokollierung beraten werden
  • Standardisierte Musterprotokolle erleichtern die rechtssichere Dokumentation
  • Die Abgrenzung Gemeinschafts-/Sondereigentum muss bei Übergaben beachtet werden
  • Fotodokumentation sollte Standard sein

Handlungsempfehlung: Nehmen Sie sich Zeit für gründliche Wohnungsübergaben. Ein vollständiges Übergabeprotokoll mit Fotos ist der beste Schutz vor späteren Streitigkeiten – für beide Seiten. Als WEG-Verwalter können Sie Ihre vermietenden Eigentümer durch Beratung, Musterprotokolle und ggf. Teilnahme an Übergaben wirkungsvoll unterstützen.

Das Urteil des Landgericht Essen zeigt deutlich: In der Immobilienverwaltung gilt mehr denn je: Was nicht dokumentiert ist, ist nicht passiert.

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Ein Artikel von
Astrid Schultheis
SCALARA Expertin für Rechnungswesen; Ö.r.b.u.v. Sachverständige für Wohnungseigentumsverwaltung; Mitentwicklerin der WEG-Musterabrechnung

Astrid Schultheis ist eine von vier bundesweit ö.r.v.u.b. Sachverständige für Wohnungseigentumsverwaltung und schreibt Gutachten für Gerichtsverfahren, insb. zum Thema WEG-Abrechnung und Rechnungswesen. Sie ist Mitentwicklerin der WEG-Musterabrechnung 1.0 - 3.0 und ist seit über 30 Jahren Inhaberin einer mittelständischen Verwaltungsgesellschaft.
Bei SCALARA arbeitet sie seit Anbeginn an der Konzeption insb. des Buchhaltungs- und Zahlungsverkehrmoduls mit und unterstützt mit Ihrem einzigartigem fachlichen Know-How.
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