Im Juli 2022 beschließt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), dem Wohnungseigentümer K die Errichtung eines Balkons zu gestatten. Bereits im August 2022 wird dieser Beschluss durch einen neuen, gegenteiligen Beschluss wieder aufgehoben. K wendet sich gegen diesen Zweitbeschluss und argumentiert, die bloße „Beschlussreue“ der Gemeinschaft könne keine tragfähige Grundlage für eine erneute Beschlussfassung sein.
Das Landgericht widerspricht der Auffassung von K. Nach Ansicht des Gerichts steht der Gemeinschaft grundsätzlich ein freies Ermessen zu, ihre Beschlusslage zu ändern. Es bestehe kein Grundsatz, wonach ein einmal gefasster Beschluss für alle Zukunft bindend sei oder die Gemeinschaft daran gehindert wäre, einen neuen – auch entgegengesetzten – Beschluss zu fassen. Diese Möglichkeit ergibt sich aus der autonomen Beschlusskompetenz der GdWE gemäß § 23 Abs. 1 WEG.
Dabei sei es unerheblich, welche Beweggründe die Gemeinschaft zu einem erneuten Beschluss bewegen – auch reine Meinungsänderung oder eine Neubewertung der Interessenlage seien zulässig. Entscheidend sei allein, ob der neue Beschluss in sich genommen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, also weder formelle noch materielle Mängel aufweist.
Das Gericht stellte zudem klar, dass schutzwürdige Belange einzelner Eigentümer zu berücksichtigen sind, insbesondere wenn diese im Vertrauen auf den Erstbeschluss bereits Dispositionen getroffen haben. Im vorliegenden Fall war dies bei K jedoch nicht erkennbar.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in ständiger Rechtsprechung die Wechselmöglichkeit der Beschlusslage anerkannt, sofern die Grenzen ordnungsmäßiger Verwaltung gewahrt bleiben. In seinem Urteil vom 25.01.2019 – V ZR 12/18 betont der BGH, dass die GdWE einen früheren Beschluss aufheben oder ändern kann, solange der neue Beschluss rechtmäßig und nicht willkürlich ist.
Nach herrschender Meinung und gefestigter Rechtsprechung sind insbesondere folgende Aspekte maßgeblich, um die Ordnungsmäßigkeit eines Zweitbeschlusses zu prüfen:
Im entschiedenen Fall lagen keine dieser Schutzpositionen zugunsten von K vor. Es gab weder konkrete Vorkehrungen aufgrund des Erstbeschlusses noch eine schützenswerte Rechtsposition. Der Zweitbeschluss war aus sich heraus rechtmäßig und damit wirksam.
Für Verwalter und Gemeinschaften bedeutet dies:
Ein Zweitbeschluss ist jederzeit möglich, sofern er die allgemeinen Anforderungen an ordnungsmäßige Verwaltung erfüllt. Es sind keine besonderen Voraussetzungen zu erfüllen, die über die Anforderungen an einen Erstbeschluss hinausgehen. Er darf jedoch nicht willkürlich sein und muss bestehende schutzwürdige Belange angemessen berücksichtigen.
Astrid Schultheis ist eine von vier bundesweit ö.r.v.u.b. Sachverständige für Wohnungseigentumsverwaltung und schreibt Gutachten für Gerichtsverfahren, insb. zum Thema WEG-Abrechnung und Rechnungswesen. Sie ist Mitentwicklerin der WEG-Musterabrechnung 1.0 - 3.0 und ist seit über 30 Jahren Inhaberin einer mittelständischen Verwaltungsgesellschaft.
Bei SCALARA arbeitet sie seit Anbeginn an der Konzeption insb. des Buchhaltungs- und Zahlungsverkehrmoduls mit und unterstützt mit Ihrem einzigartigem fachlichen Know-How.
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